13. Thüringenultra 2019 – 100 km – Schlaflos durch Thüringen

Vor dem Start
Ich gehe ins Bett. Es ist 23:35 Uhr. Bis ich an diesem 05. Juli 2019 einschlafen werde wird es wohl schon um Mitternacht sein. Ich bin nervös, gedankenversunken und überhaupt nicht müde und in gut 4,5 Stunden ist der Start. Ja … der Start zu meinem zweiten 100 km Lauf ist nachts um 04:00 Uhr. Schließlich ist der Zugspitzultra 100 km ausgefallen und dies ist mein kurzfristiger Ersatz. Kurzfristig deswegen, weil ich nur wenige Tage zuvor mich zu diesem Lauf sehr spontan entschieden habe.

Es ist 02:00 Uhr und mein Wecker klingelt, nach gut 2 Stunden Schlaf. Ich stehe auf, ziehe mich um, denn ich hatte alles fein säuberlich neben meinem Bett hingelegt. Sina erwacht und wird mich zum Start fahren, damit ich noch etwas im Auto schlafen kann. Sina und ich schlafen gute 45 Minuten vom Startort entfernt in einer Pension, wo wir unsere Hündin Hedda gekauft haben. So kann Hedda ihre Eltern und eine ihrer Schwestern wiedersehen und etwas mit ihnen spielen. Sina fährt so durch Thüringen über verschiedene Dörfer, mitten durch das Nichts bis wir den Startbereich ungefähr gegen 3:00 Uhr erreichen.

Dort wartet schon Dominik. Die meisten Läufer*innen frühstücken. Ich esse nur wenig, da ich irgendwie keinen Hunger habe. Was ehrlich gesagt vor einem Ultra nie eine gute Idee sein kann.

Das Rennen, 06. Juli 2019

Der Start ist um 4:00 Uhr. Eigentlich mag ich es früh zu starten, weil ich in Folge nicht so spät am Tag im Ziel sein werde. Aber um 04:00 Uhr bin ich noch nie gestartet. Es ist nach dem Start sehr ruhig auf der Strecke. Oft höre ich sonst die Leute sich unterhalten, aber jetzt erklingt nur das Atmen und die Laufschritte.

Das Feld zieht sich schnell auseinander und ich bin zwar nicht alleine, aber irgendwie gefühlt schon. Um mich herum sind andere Läufer*innen mit einem Abstand von +/- 10 m, aber ich selbst Laufe alleine.
Kleinere Waldstücke werden mit indirektem LED-Licht ausgeleuchtet, sodass es gerade so reicht, den Weg gut zu sehen. Da haben die Organisatoren Erfahrung und mitgedacht, ist schnell mein Gedanke.


Langsam geht die Sonne auf und es wird heller. Ich genieße diese Morgendämmerungsstimmung und erfreue mich daran. Als ich gegen 4:53 Uhr den ersten Verpflegungspunkt nach gut 10 km erreiche, ist es schon taghell. Ich bin fasziniert, wie gut die Helfer*innen drauf sind. Es ist noch vor 5 Uhr morgens und die Leute helfen, sind aufmerksam und stehen hier freiwillig, um mir und anderen Getränke und Essen zu reichen. Ich bedanke mich, laufe weiter und bin zutiefst von ihnen beeindruckt.

Laut der Streckenkarte soll es ab jetzt bis Kilometer 40 viel bergauf gehen. Puh! Na dann mal (r)auf! Ich laufe meist allein die Forstwege und einige Singletrails entlang. Es ist leicht bewölkt und etwas windig. Die Zeit vergeht und ich erreiche nach und nach verschiedene Verpflegungspunkte. Teilweise gibt es weite, schöne Aussichten, an denen ich mich erfreue. Es ist eine der Phasen auf einem Ultralauf wo nichts passiert, außer das man läuft. Ich mag diese Besinnung auf das Wesentliche im Laufsport. Es sind Stunden, die einfach vergehen und ich nur laufe. Ich freue mich über die Einfachheit dieser Phase, wenn es keine Probleme gibt und es im wahrsten Sinne einfach läuft. Ich frage mich, wo Dominik wohl sei? Ich vermute, dass er weit vor mir sein dürfte.

Bei Kilometer 35 laufe ich mit einem Mann aus Taiwan (glaube ich?!) zusammen. Wir unterhalten uns auf Englisch und tauschen uns über unsere Erfahrungen aus. Ich frage ihn, was ihn zum Thüringen Ultra führt. Das sei nun sicher nicht ein Lauf, der in Asien sehr bekannt sein dürfte. Er erzählt mir, dass er gerne und öfter in Deutschland ist, auch weil seine Frau hier studierte und aktuell in Deutschland arbeitet, nicht unweit von diesem Lauf entfernt. Er hätte über Bekannte eine Empfehlung für diesen Lauf bekommen. Wir unterhalten und weiter und er berichtet mir, dass er seine Zeit in Europa aktuell gut nutzt, um mehrere, teils sehr verschiedene Ultras zu laufen. Ich finde solche Geschichten immer spannend und dies führte dazu, dass die Kilometer mit ihm sehr kurzweilig sind.

Nach Km 43 trennen sich unsere Wege auf meinen Wunsch hin. Ich möchte sein Tempo nicht weiter mitgehen, auch wenn ich es könnte. Wir verabschieden uns und laufen jeweils unseren Lauf weiter. Ich sehe einfach die Gefahr am heutigen Tag, dass ich irgendwann schwächeln werde und ein höheres Tempo könnte ich am Ende teuer bezahlen. Ich fühle mich nämlich müde. Die kurze Nacht fordert ihren Preis ein. Mir ist zu jedem Zeitpunkt klar, dass ich den Lauf erfolgreich beenden kann. Ich weiß auch, dass es hier um nichts geht, außer irgendwie ins Ziel zu kommen.


Es folgt ein langer Downhill, der mich leider nicht wirklich wach macht. Ich habe hier mein erstes Tief des Tages. Ich krieche bergab, wo ich eigentlich hätte gut laufen können, aber es nicht zu ändern. Irgendwann komme ich endlich beim Verpflegungspunkt bei Kilometer 55 an. Noch bevor ich beim Verpflegungspunkt einlaufe, denke ich mir: „Ich brauche eine Pause. Eine richtig lange Pause!“ Ich fülle meine Vorräte auf. Ich esse und trinke viel, als plötzlich jemand von hinten auf meine Schulter klopft. Ich drehe mich um und realisiere erst einmal nicht, wen ich da sehe: Dominik.

Er berichtet mir, dass er bis kurz vor diesem Verpflegungspunkt in den Top 3 war und dann merkte, dass er das Rennen zu schnell anging und eingebrochen ist. Damit er seine Kräfte für ein anderes Rennen sparen kann, hört er an diesem VP auf. Er hoffe, dass ich das Rennen zumindest beenden würde und ich antworte ihm, dass das keine Frage sei, sondern nur wann ich die Ziellinie übertreten werde, wäre eine spannende Frage. Ich berichte ihm, dass müde sei und mich jetzt schon durchkämpfe. Ich denke nicht an das Aufgeben. Dominik und ich verabschiedeten uns. Ich verlasse mit Essen in der Hand den Verpflegungspunkt.

Es folgte nun ein langer bergauf Abschnitt, und für mich bietet es sich immer an, am Anstieg noch in Ruhe zu Essen. Der Zeitverlust ist am Anstieg nie so hoch, wenn ich erst kurz gehe und dabei esse. Das war zu mindestens meine Theorie, basierend auf meiner Erfahrung von vorigen Läufen. Doch es wird langer Marsch. Knapp 6 Stunden bin ich nun unterwegs und ich versuche nach vorne zu schauen. Es ist kurz nach 10 Uhr morgens und ich habe einen knappen Marathon vor mir. Dass ich schon fast 1,5 Marathons hinter mir habe, ist mir in dem Moment selbst nicht wirklich bewusst.

Als ich endlich „oben“ ankomme, freue ich mich innerlich, denn so hoch wird es im Rennen nun nicht mehr gehen. Primär geht es ab Kilometer 62 bis ins Ziel vorwiegend bergab. Oben angekommen finde ich auch einen neuen Gesprächspartner. Dank ihm, komme ich wieder in einen guten Lauffluss und erfreue mich am Gespräch. Er berichtet mir, dass er eine Woche zuvor einen 100 Meilen (ca. 161 km) Rennen gelaufen sei und heute die 100 km spontan läuft. Ich denke mir: „Wie sympathisch, dass es immer ein wenig verrückter geht.“ Ich will mich hier aber nicht distanzieren. Wer weiß, ob ich selbst irgendwann mal sowas verrücktes machen werde. Ich kann es nicht ausschließen.

Sina meldet sich zwischen durch, dass sie sich nun auf den Weg macht, um mich an einem der nächsten Verpflegungspunkte abzufangen. Das stellt sich aber als nicht so leicht heraus. An den ersten Verpflegungspunkten schreibe ich ihr, dass ich stets vorbeilief, ohne sie zu sehen. Das letzte Mal, dass ich so eine Nachricht schreiben muss, ist bei Km 71.

Kurz nach 72 km laufen wir als Dreiergruppe. Meine beiden Begleiter kennen sich und spornen sich zu einer gewissen Zielzeit an. Sie werden stetig schneller und ich beschließe bei Km 75 die beiden ziehen zu lassen, ähnlich wie schon zuvor bei dem Herren aus Taiwan. Ich möchte das erhöhte Tempo nicht mitlaufen und ich fühle mich dazu einfach zu müde.

Beim Verpflegungspunkt bei Kilometer 76 erblicke ich Sina und freue mich sehr. Sie steht am Rand mit Hedda und blickt zu mir. Es tut mir gut, sie da zu sehen. Ich sehe wie einige Läufer am Rand des Weges im Gras sitzen, essen, trinken und eine Pause genießen. Ich fülle meine Flaschen auf und nehme mir etwas zu Essen auf die Hand und gehe einige Meter mit Sina. Wir tauschen uns aus und ich berichte ihr in Kürze, wie es mir geht und wie es bisher so lief. Schließlich liegt ja noch ein Viertel des Laufes vor mir. So ein Lauf ist rückblickend wirklich wie ein gutes Buch, welches in mehreren Kapiteln aufgeteilt ist. Hier und jetzt fängt mein letztes Kapitel an.

Das letzte Kapitel: Sommer, Sonne, Hitze mit Erschöpfung, Bäh und ein verständnisloser Hund

Es ist mittlerweile wirklich warm geworden. Die Strecke ist stets gut ausgezeichnet. Es geht durch Wälder, mal durch kleinere Straßen, zwischen Feldern entlang. Es wird lebhafter mich herum. Das liegt nicht an den Läufer*innen. Von denen sehe ich kaum noch jemanden. Aber es gibt mehr Wanderer oder einfach Leute die da sind.

Kurz vor Kilometer 86 beim muss ich ein Waldstück hochgehen. Am Ende komme ich zu einer Treppe. Sie hat nur wenige Stufe, aber es regt mich auf. Ich fühle mich in diesem Moment wehleidig, müde, erschöpft und einfach Bäh! Ich bin innerlich wie ein kleines quengeliges Kind. Gute 250 m später am Verpflegungspunkt kommt mir ein Gedanke: „Hallo liebes Tief Nummer 2!“ Das erklärt vieles. Ich sitze wie ein Häufchen Elend im Verpflegungspunkt und die Helfer*innen reichen mir Essen und Getränke. In solchen Momenten will ich nichts Hinterfragt wissen. Ich will nicht hören, „Willst du das wirklich?“ oder „Hör doch auf!“ oder „Das wird schon wieder. Kopf hoch.“ Ich möchte einfach nur meine Ruhe haben und innerlich mit mir ringen. Das gehört für mich dazu. So eine Stimmung habe ich nicht auf jedem Ultra, aber der innere Kampf ist für mich ganz klar ein Teil des Ultralaufes. Ich bin froh, dass niemand diese Äußerungen fragt oder sagt. Sina ist einfach nur da und lässt mich in Ruhe. Und genau das brauche ich im Moment. Sie begleitet mich nach fünf Minuten ein paar Schritte, bis ich sage, dass ich nun weiterlaufen werde. Es gibt allerdings nun kaum noch einen Wald, sondern nur noch Sommer, Sonne, Hitze und keinen Schatten.

Ich laufe weiter. Ein Schritt nach dem anderen trägt mich nach vorne und ich freue mich so dem Ziel immer näher zu kommen und tatsächlich komme ich am nächsten Downhill aus meinem Tief heraus. Ich fühle mich plötzlich gut. Ich laufe immer schneller. Wieso kann ich das jetzt gerade? Wieso ging das vor 10 Minuten noch nicht? Ich kann es mir selbst nicht erklären. Den nächsten Anstieg nehme ich wie ein junges Reh und überhole knapp zehn Personen, einfach so. Alle schauen mich ungläubig an und ich verstehe es auch nicht. Ich ergebe mich selbst dem Moment. Ich denke nicht daran, dass wahrscheinlich schnell ein drittes Tief kommt. Mein einziger Gedanke gerade ist, dass ich so nun einige Kilometer gut machen werde. Bei Kilometer 92 sehe ich Sina und Hedda wieder. Ein Läufer sitzt in einem Stuhl am Verpflegungspunkt und ein zweiter, leerer Stuhl steht daneben frei. Ich setze mich zu dem Läufer und quatsche mit ihm. Es stellt sich heraus, dass neben mir der einzige Läufer sitzt, der jeden Thüringen Ultra bisher gefinisht hat. Respekt. Ich stehe einige Minuten später auf und verabschiede mich von Sina und Hedda. Später wird mir Sina ein Foto geben, auf dem Hedda verständnislos hinter mir herblickt, ganz nach dem Prinzip: „Warum läufst du weg?“ Es folgt ein Abschnitt mit viel Straße zwischen den Feldern. Die Sonne drückt und ich denke nur daran einfach bald das Ziel zu erreichen.

Nach 95 km stehen Frauen und Männer mit Puscheln und feuern wie Cheerleader jeden an. Ich unterbreche meinen Laufschritt und ihren Jubeltakt mitzugeben und mitzufeiern. Sina kommt fast zu spät, da ich die letzten Kilometer so gut durchkam, dass sie mit dem Auto kaum mitkommt, denn sie muss ja jedes Mal einen Parkplatz suchen und dann zur Strecke gehen. Ich verpflege mich in diesem Party-VP ein letztes Mal. Es sind jetzt noch 5 Kilometer bis ins Ziel und ich habe noch sechs Stunden bis zum Cut-Off.

Ich verabschiede mich recht schnell von Sina und meine zu ihr, dass sie nicht zum VP bei Kilometer 98 kommen soll, sondern direkt zum Ziel fahren soll. Es gehe mir ganz ok und ich würde jetzt versuchen möglichst viel zu laufen, um bald im Ziel anzukommen. Schließlich bin ich bis hier hin bin schon 12 Stunden unterwegs.

Ich habe nur noch das Ziel vor Augen und laufe so gut und so schnell ich noch kann. Das bedeutet im Schnitte 7 bis 8 min pro Kilometer. Es geht ehrlich gesagt gar nichts mehr. Den VP bei Km 98 passiere ich. Alle jubeln und ich tue es nach, doch jegliches Essen und Trinken lehne ich ab. Ich will nur noch ins Ziel. Ich bedanke mich aber und gehe nun die letzten zwei Kilometer an. Doch dann nach gut 98,5 km ist die Luft raus. Mein Kopf will nicht mehr. Ich bin irgendwo innerorts auf einer gefühlt endlos langen, geraden Straßen und wechsle ins Gehen. Das wird so gute 1200/1300 m so gehen. Erst 200 m vor dem Ziel finde ich wieder ins Laufen und nehme den Rest locker und überquere die Ziellinie. Mein zweiter 100 Km ist absolviert und damit erfolgreich beendet. Ich erhalte eine Medaille und gehe zu Sina. Ich muss mich setzen, muss erst einmal vor Erleichterung weinen, dass ich es geschafft habe. Dann gehe ich zu einem Baum und lege mich auf den Boden und lehne mich an den Baum und schlafe sofort ein. Nach einer halben Stunde erwache ich und blicke neben mich und traue meinen Augen nicht. Da heiratet ein Paar direkt im Ziel. Das ist eine witzige und coole Idee, finde ich.

Ich stehe auf und gehe zur Dusche, stelle mich an. Wobei hier eine Stuhlreihe steht und jeder immer einen Stuhl weiter nach vorne geht, wenn jemand aus den Duschen rauskommt. Als ich frisch geduscht im Auto sitze und Sina mich nach Hause fährt, beginne ich erst so langsam den Tag zu verarbeiten und zu begreifen, was ich da geleistet habe. Der Lauf ist wirklich toll, mit vielen grandiosen Helfern und schöner Natur. Einige Wochen später erhalte ich mein Finisher-Shirt mit einem Stern. Jeder Stern bedeutet ein Finish auf dem Thüringenultra. Ich frage mich selbst, wann ich versuchen werde, mir meinen 2. Stern zu verdienen.

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