4. Biggesee Marathon – Einsame Gedanken

Vor dem Lauf:

10:15
Es war Samstag, der 21. Juni 2014; Sommersonnenwende sozusagen. Ich stand auf, frühstücke und setzte mich gegen 10:15 Uhr in mein Auto, nur um dann ca. 180 Kilometer ins Sauerland zu fahren, genauer zum Biggesee in Attendorn. Es sollte mein achter Marathon werden. 42,195 km und ganze 930 Höhenmeter. Es war somit mein erster Trail – / Bergmarathon. Nach dem Marburger Nachtmarathon sollte dieser Marathon der zweite werden, bei dem nur sehr wenige TeilnehmerInnen am Start sein sollten. Der Lauf sollte auf seine Art und Weise etwas ganz besonderes werden, doch dazu später mehr.

12:15 Uhr
Ich kam pünktlich an. Alles war von den Veranstaltern gut ausgeschildert. Ich erhielt rasch einen kostenlosen Parkplatz, meine Startnummer und ein T-Shirt für wenig Geld. Yeah… ein T-Shirt 😀

12:45 Uhr
Ich fing mit der letzten Mahlzeit vor dem Start an und mich zog mich dabei langsam im Auto um. Auf der Speisekarte stand eine Banane, ein trockenes Brötchen und dazu etwas Wasser.

13:30 Uhr
30 Minuten vor dem Start kam das Drama. Ich bekam Bauchschmerzen und hatte plötzlich große Sorgen, ob es sinnvoll sei nun einen Marathon zu laufen. Denn ich wollte unbedingt an meinem Prinzip festhalten: Abbrechen gibt es nicht und umkehren ist ausgeschlossen. Juliane, meine Marathonpartnerin, traf auch endlich ein. Wir besprachen uns kurz über unsere Renntaktiken und beschlossen sofort, jeder für sich zu laufen, falls wir uns verlieren. Wir waren auf einem unterschiedlichen Trainingsstand. Ich hatte ein Bergtraining absolviert und sie hatte auf flachen Strecken traniert. Es sprach vieles dafür, dass wir uns höchst wahrscheinlich früh verlieren sollten.

13:45 Uhr
Die Bauchschmerzen blieben und ich beschloss direkt den Lauf entspannter anzugehen, aber auf jeden Fall zu starten. Ich und Juliane stellten uns beim Start- / Zielbereich auf und lauschten dem Veranstalter. Dieser erzählte von den 930 HM und das wir 123 Starter für den Marathon wären. Die ersten und letzten 5 Km waren bei jedem Kilometer ausgeschildert. Auf der restlichen Strecke sollten nur alle 5 Kilometer ein Schild stehen. Und anhand der Beschilderung werde ich gleich auch meinen Bericht verfassen.
Außerdem sollten wir bei Straßenübergängen vorsichtig sein, denn es gäbe keine Straßenposten. Soviel vorweg: Das war nicht schlimm. Ich sollte dreimal eine Straße kreuzen und keine war wirklich viel befahren und es war sehr entspannt.

13:57 Uhr
Wir stellten uns im Startblock auf. Ich stand sehr mittig im Feld, auch weil ich noch nicht wusste, wie sich die Magenschmerzen entwickelten. Ich ging die Strecke ein letztes Mal mental durch, da ich mir die Berge und ihre ungefähre Position anhand einer Karte vorher eingeprägt hatte.

Der Lauf:

14:00 Uhr / 0 Km
Es geht los. Schon nach 500 m sollte der erste, sehr schwere Berg kommen und er war sehr schwer. Juliane und ich verloren uns sofort am ersten Berg. Ich lief kurz zu ihr zurück, klatschte sie ab und wünschte ihr viel Erfolg.

1 Km
5:30 min benötigte ich für den ersten Km. Und es ging immer noch Bergauf.

2 Km
Immer noch der erste Berg. Ich holte einige Personen ein und wunderte mich warum plötzlich kurz vor mir zwei Fahrradfahrer führen. Sie waren auf jeden Fall offiziell vom Veranstalter, aber für wen führen sie?

3 Km
Der erste Berg endete und es ging wieder leicht Bergab. Ungefähr bei Km 3,5 überholte ich die Fahrradfahrer. Sie schienen auf jemanden zu warten… Etwa auf die Frau, die ich eben eingeholt habe? Leider konnte ich die Schilder, welche Frontal auf dem Fahrrad klebten, nicht lesen.

4 KM
Es ging wieder Bergauf… *seufz*. Dafür war ich mittlerweile in einer Dreiergruppe. Yeah! Und die Fahrradfahrer überholten mich mit einem Lächeln. … yeah?

5 Km
Da war der erste Getränkepunkt. Kurz danach liefen wir einen sehr schmalen Weg entlang, den wir nur hintereinander laufen konnten. Und dann plötzlich kamen wir auf einem normal breiten Waldweg zurück. Auf dem normalen Weg überholte ich erneut die Fahrradfahrer und erkannte wo ich war: Auf dem Rücken eines kleineren Berges und zum ersten Mal erkannte ich die Schönheit der Strecke. Der Ausblick war fantastisch und wunderschön. Die Wolken erzeugten ein wunderbares Licht und Schattenspiel, die Aussicht war klar und weit. Richtig schön!

Km 6-9
Ich wurde etwas langsamer und schaute nach Links und rechts. Immer wieder war ich von der Schönheit des Ortes beeindruckt. Ich unterhielt mich zwischen durch mit den Fahrradfahrern und begrüßte und lobte die bisher tolle Strecke. Sie merkten an, dass es die wirklichen Höhepunkte der Strecke vor allem in der zweiten Hälfte zu finden sein. Ich las dann zwischendurch endlich die Schilder an den Fahrrädern „1. Frau – Marathon.“ Und wusste nun sicher, dass in meiner Dreiergruppe die erste Frau dabei war.
Bei Kilometer 8 geschätzt kam der nächste Getränkepunkte, denn ich noch zügig im Eiltempo mitnahm. Es sollte der Vorletzte gewesen sein, den ich auf dieser Art und Weise wahrnahm, wie ich das meine? Auch darauf komme ich später noch einmal darauf zurück.
Die Strecke wurde flacher und angenehmer zu laufen. Wir waren zwischenzeitlich zu fünft, da wir einige einholten. Doch irgendwie überholte ich alle und setzte mich ab und war plötzlich komplett alleine. Es war niemand vor mir und ein erstes Gefühl von Einsamkeit machte sich breit. Es dauerte fast 2 Kilometer, bis ich realisierte, dass ich zwar niemanden vor mir hatte, aber ungefähr 5-8 Läufer mit etwas Abstand hinter mir hatte. Ich war der Führungsläufer einer Gruppe. Es war ein seltsames Gefühl. Ich beschloss sofort …

10 Km
… als ich das 10 Km Schild sah, dass Tempo zu drosseln und mich einholen zu lassen. Die Uhr zeigte 47:50 min an. Ich war viel, viel zu schnell. Kennt ihr das? Ihr nehmt euch vor langsamer zu laufen, und dann klappt das nur bedingt? Ich wollte auf eine Zielzeit von 4:30 h hinaus laufen. Bisher lief ich eher auf eine 3:30 h Zielzeit an. Und man warnte mich ja vor, dass die wahren, schweren Berge im 2. Abschnitt vor mir lagen und die erste Hälfte eher noch leichtes Profil sei. Direkt nach dem 10 Km Schild kam erneut ein knackiger Berg.

Km 11-15
Auf dem Weg zwischen 10 und 15 passierte nichts Spannendes. Ich nahm bei Km 12,5 ca. den letzten Getränkepunkt zügig. Ich lief erneut in der fünfer Gruppe, in der ich mich erst absetzte. Aber so musste ich nicht alleine laufen und das Tempo war in Ordnung. Die Strecke nach dem ersten Anstieg direkt bei Km 10 flach geworden und ging sehr gut zu laufen. Landschaftlich war der Lauf weiterhin sehr schön. Aber ich fing darüber nach zu denken, wie der Lauf wohl in der 2. Hälfte werden würde. Auch fragte ich mich immer wieder, wie es Juliane wohl gehen möge.

Km 16-20
Der Getränkepunkt bei Km 16 war an einem imposanten Kloster. Es war der erste Getränkepunkt den ich nicht mehr zügig nahm, sondern stehen blieb und mich mit den Leuten einfach unterhalten hatte. Ich nahm mir mehr Zeit für das Trinken und Essen. Und ich war so schnell bisher unterwegs, dass ich wohl auf jeden Fall unter 4:30 h bleiben sollte. Die eine Frau meinte schon „Ich bin total verwundert, dass Sie stehen bleiben. Ich kenne das so nicht.“ Tja, meinte ich, ich sei halt entspannt. Es ginge für mich hier um nichts und ich wolle den Lauf genießen.
Kurz danach holte ich all die Leute wieder ein, die ich wegen meiner kurzen Pause vorbei ließ. Wir liefen auch durch Attendorn kurz durch, dann einige Serpentinen hoch. Kurz danach kam das Schild „Links zum Ziel. Rechts Marathon / 20 km“. So da war ich also nun ein Kilometer von dem Ziel entfernt. Ich atmete tief durch, denn es war hart rechts abzubiegen.

Km 21-25
Ich lief rechts und nahm die zweite Hälfte in Angriff. Zuerst ging es zur JVA Attendorn entlang mit einem Verpflegungspunkt. Hier lies ich die 5er Gruppe mit der ersten Frau ziehen, weil ich mir erneut 2 Minuten Pause nahm (und ab nun immer nehmen sollte). Es kam auch niemand nach. Das zeigte mir erst, wie einsam es werden würde. Gestärkt und einsam lief ich wieder an. Auf ging es in die zweite Hälfte. Ungefähr bei Km 22 verließ ich endlich die Straßen wieder und lief in einen Wald. Und wo Wald war … da kam der nächste Berg, der erst ungefähr bei Km 25 enden sollte. Es war der mit Abstand schwerste und härteste Berg, den ich auch in großen Teilen gegangen bin. Trotzdem war meine Zeit immer noch auf Hermannslaufs-Niveau. Ich hatte 2:03 Stunden für die ersten 25 Km gebraucht. Verdammt, ich wollte doch abbremsen?

Km 26-30
Aber auch der nächste Streckenabschnitt war gefüllt mit Steigungen. Gleich bei Km 26 kam der nächste Getränkepunkt. Ich pausierte erneut ziemlich lange und wurde dann auch wirklich mal von einer Person eingeholt. Ich unterhielt mich etwas und lief dann weiter, bzw. ging etwas an den knackigen Steigungen. Seit Km 22 war der Abschnitt sehr anspruchsvoll und ich hatte das Gefühl kaum voran zu kommen, doch die Zwischenzeiten waren in Ordnung. Bei Km 29 verließ ich den Wald und konnte endlich wieder nun die wundervollen Aussichten genießen und es toppte die bisherige Strecke. Der absolute Wahnsinn. Sowieso sollte nun der wirklich schönste Abschnitt kommen. Und dann, mitten auf einer Wiese mit sehr schmalen Weg stand ganz einsam ein kleines Schild: „Km 30“. 2:37 Stunden. Etwas langsamer als auf dem Hermann, aber ich hatte auch sehr viel mehr Berge absolviert. Ich war viel zu schnell und hoffte, dass sich das nun auf den letzten 12 Km nicht rächen würde. Ich war aber in dem Moment sehr zufrieden, lief ich doch wirklich nicht auf Zeit, sondern auf… Uiii, die Aussicht ist so schön!!

KM 31-35
Kurz nach dem 30 Km Schild ging es in einen Märchenwald. Die Wege waren märchenhaft gestaltet. Ich lief sehr oft durch Tore, die nur aus lebenden, gebogenen Ästen gebaut waren und mit Holzschmuck an den Ästen verziert waren. Es war so schön da und es war eines der Höhepunkte. Danach ging es Bergab und bei Km 31 kam ein Verpflegungspunkt. Wieder unterhielt ich mich lange, aß und trank. Nach über 2 Minuten Pause, drehte ich mich in die Richtung um, sah niemanden und schaute die Sanitäter an und sagte: „Seht ihr. Deswegen beeile ich mich nicht. Es kommt einfach niemand.“ Sie lachten und antworteten nur „Ja. Lauf entspannt bitte. Das bedeutet weniger Arbeit für uns.“ Ich lief wieder los. Erst ging es kurz einen Berg hoch in den nächsten Wald und dann ging es lange Bergab. Plötzlich deuteten sich Krämpfe an, doch ich drosselte das Tempo und war wieder wesentlich entspannter. Kurz vor dem 35er Schild sollte ich das letzte Mal eingeholt und überholt werden auf dem Lauf. Es war mir aber egal, denn ich hatte meinen Spaß und irgendwie genoss ich den Scharm der Strecke, immer wieder nach Pfeilen zu gucken, die mir den Weg wiesen. Und ohne diese Pfeile, würde ich mich auf dieser Strecke auch hoffnungslos verlaufen.

KM 36-37
Das einzige Nennenswerte in diesem Abschnitt war der Getränkepunkt bei Km 36. Man was haben die da Party gemacht und gefeiert. An dem Abend sollte Deutschland gegen Ghana spielen. Das zweite Gruppenspiel der WM 2014. Und hier waren alle schon in den Farben der Flagge angemalt. Man machte Party, Stimmung. Es gab hier nicht nur die normale Verpflegung. Hier wurde man auch direkt vom Grill bewirtet. Ich lehnte ab und wollte wegen meinem Magen nichts riskieren. Der Grillmeister wirkte jedoch leicht verwirrt, als ich ablehnte. Warte … mein Magen? War da nicht was? Hm… irgendwie, habe ich meinen Magen seit dem Start nicht mehr gespürt. Gut so! So sollten alle Dramen enden.

Km 38
Endlich wieder KM Schilder! Wir liefen zum letzten Mal aus dem Wald heraus und in Attendorn hinein. Nun konnte es ja nicht mehr Weit sein?

Km 39
Hier war er, der letzte Getränkepunkt vor dem Ziel. Und wie bei Km 36 Party war, so war auch hier Party angesagt. Ein Alarm-Signal, manuell gesteuert ertönte für jeden Läufer sehr laut. Alle bejubelten einen. Es tat unheimlich gut noch einmal so gepusht zu werden. Ich war seit fast 2 Stunden weitestgehend alleine und genoss die Motivation. Ich war nur eine Minute hier, denn ich wollte endlich ins Ziel. Es waren ja nur noch 3 Km. Nur noch …
Ich bedankte mich kurz für die Motivation und lief los. Auf ging es in Richtung Ziel und ich wusste von den Profilkarten, die ich im Vorfeld studiert hatte, dass ich noch einen Anstieg vor mir hatte.

Km 40
Kurz vor dem Biggesee stand das Km 40 Schild. Doch nur wenige Meter danach betrat ich den Weg am Biggesee. Ich konnte in der Ferne auf der anderen Uferseite das Ziel sehen. Endlich war es nicht mehr weit. Der letzte Berg lag nun hinter mir. Ab hier war der Rest des Laufes flach. Das meiste war geschafft.

Km 41
Von Links kamen Halbmarathonläufer, die sich mit mir für den letzten Kilometer einreihten. Ich schaute auf die Uhr: 3 Stunden und 44 Minuten. Ich sollte also locker unter 4 Stunden bleiben. Doch das bedeutete auch, da die Halbmarathonläufer 90 Minuten später starteten, dass diese Läufer nun bei 2:14 Stunden ungefähr sein mussten. Bei 41,5 Km drehte sich ein gehender Läufer um und sah mich. Er lief sofort los, doch sehr langsam und sehr erschöpft. Ich überholte ihn und munterte ihn kurz auf. An seiner Startnummer erkannte ich, dass er zu den Halbmarathonläufern gehörte. Ich zog noch ein letztes Mal für die letzten, gut 700 Meter an und lief zum Ziel.

Km 42 / Ziel
Ich lief ins Ziel und stoppte die Zeit. Ich war unglaublich glücklich und happy. 3:49:53 h sollte es am Ende meine offizielle Zielzeit sein. Ich wurde der 23 insgesamt, der einlief. Nur knapp 7 Minuten langsamer als in Berlin, der jedoch sehr viel flacher und schneller war. Das bestätigte mich für mein Ziel in München, wo ich den nächsten und neunten Marathon laufen werde. Ich dachte an Juliane, und wo sie wohl nun ist. Ich schaute auf mein Handy und sah ein Zielfoto von ihr, welches sie mir vor gut 1,5 Stunden schickte. Sie war also dem „Links zum Ziel“ Schild gefolgt und hat den Lauf als Halbmarathon beendet. Von den 123 Marathonläufern liefen 110 erfolgreich ins Ziel.
Das war er also, der einsamste aber wohl auch landschaftlich schönste Marathon, den ich je gelaufen bin. Es war ein ganz besonderer Lauf, mit einem ganz besonderen Scharm, den ich so nie bei einem großen Marathon finden werde.

Daniel Katzberg
22. Juni 2014
17:34 Uhr (Erste Fassung)

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